Arbeiten ohne Geld - ne, echt jetzt?



Was ist eigentlich sinnvolle Arbeit und was hat das mit einer funktionierenden Gesellschaft zu tun?
Einen zweifellos sinnvollen Job machen die Frauen und Männer die für Polizei und Feuerwehr arbeiten. Doch warum wurden gerade die in der Silvesternacht 2022/2023 von einem wütenden Mob attackiert? Der Kriminologe Thomas Feltes sieht als Ursache, dass sich die jungen Menschen, die dort randaliert haben, nicht mehr als Teil der Gesellschaft sehen. Sie kommen oft aus armen Verhältnissen, die Arbeitslosigkeit in den "Problemvierteln" ist deutlich höher als sonstwo. Sie sind ausgeschlossen. Und da sie nicht mehr Teil der Gesellschaft sind, fühlten sie auch keine Verpflichtung mehr, deren Regeln zu beachten, so Feltes. Doch wie können wir diese Entwicklung aufhalten oder gar zurückdrängen?
Wie ist eine Gesellschaft möglich, in der alle füreinander einstehen, statt aufeinander loszugehen. Eine mögliche Antwort dazu habe ich in Südfrankreich gefunden. Und es hat wieder mit Arbeit zu tun.

Im Sommer habe ich in Frankreich Claire kennengelernt. Die Medizin-Studentin aus der nordfranzösischen Stadt Lille fährt einmal im Jahr mit dem Zug in die Pyrenäenstadt Lourdes um dort zu arbeiten. Die Fahrt quer durch Frankreich dauert acht bis neun Stunden und ist wegen der vielen Umstiege sehr anstrengend, ebenso wie der Job, den sie dort tut. Die Unterkünfte sind einfach und bescheiden. Ist es wenigstens gut bezahlt, frage ich Claire? Nein, die Arbeit, die von der französischen Pelerinage National organisiert wird, ist ehrenamtlich, also komplett ohne Bezahlung!
Da gibt es diese Einfachheit, die Freude, die gegenseitige Unterstützung, wir schenken unsere Zeit. Es zieht uns einfach hier her. (Claire, Voluntärin der Pèlerinage National, oder kurz "Pele")

So wie Claire reisen jede Woche circa eintausend meist junge Menschen in den Pilgerort nahe der spanischen Grenze, um Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen zu begleiten und zu assistieren. So reisst die Karawane der typischen blauen Rollstühle, die durch die Stadt gerollt werden, kaum ab. Vorne wird gezogen, hinten gedrückt. Irgendwie geht es immer, die tausende von Pilgern von den Hotels zu den Kirchen und Andachtsstätten zu bringen. Weitere Voluntäre übersetzen die Gottesdienste für Gehörlose in Zeichensprache und sind da für alles, was die Menschen, die aus der ganzen Welt zu dem Pilgerort kommen, brauchen.
Doch warum macht sie das, wollte ich von Claire wissen. Als Antwort bekomme ich nur ein Achselzucken. Es sei ihr einfach ein inneres Bedürfnis und es sei eben eine ganz besondere Atmosphäre. Sie denke einfach gar nicht darüber nach und sei einfach jedes Jahr wieder da, einfach so.
Ich bin sichtlich beeindruckt von Claire aus Lille und auch von Derek, der jedes Jahr aus den USA anreist, von Jean-Pierre und Annie und den vielen anderen, die hier sind, nur um anderen zu helfen. Durch ihr Engagement und ihre Freude sind sie wichtiger Teil der Gesellschaft, zeigen die Relevanz der Nächstenliebe und machen diese Welt ganz nebenbei ein Stückchen besser.

Ziel vieler Pilger sind die Wasserquellen von Lourdes. Sie sollen bei Krankheiten ware Wunder vollbringen. Ob das stimmt, kann ich nicht sagen. Was ich sehr deutlich gesehen habe, sind hunderte von Menschen, die jedes Jahr Strapazen auf sich nehmen, nur um anderen zu helfen. Und ist das nicht bereits ein Wunder?
Infos - Volontariat in Deutschland
Ehrenamtliche Arbeit gibt es natürlich auch in Deutschland. Laut Statistik sind circa 15 Millionen Deutsche ab 14 Jahre ehrenamtlich engagiert! (Quelle: Statista) Gut 90% der Befragten geben an, dass sie sich engagieren, weil es spaß macht. Aber auch die Punkte "Mit Menschen zusammenkommen", "Gesellschaft mitgestalten" und "mit anderen Generationen zusammenkommen" wurden von etwa 80% der Befragten genannt! (Quelle: Fachstelle Engagementförderung, Evang. Kirche von Kurhessen-Waldeck, 2021)