Urlaub ohne Koffer
Es ist Dienstag – und der zweite Stock im Haus am Dom ist voller Menschen. Junge und Ältere, Eltern mit Kinder, alleinstehende Männer und Rentnerinnen, stehend, sitzend, Zeitunglesend oder auf ihr Handy schauend warten sie geduldig darauf, eingelassen zu werden. Sie alle sind da, weil sie sich bei der Aktion „Urlaub ohne Koffer“ gemeldet haben und für einen Tagesausflug ausgelost wurden. Nun möchten sie letzte Formalitäten klären und ihren Unkostenbeitrag bezahlen, bevor es losgehen kann – endlich! Im Anmeldebüro arbeiten fünf Ehrenamtliche, die meisten ehemals Mitreisende.
Seit 2008 können Menschen mit geringem Einkommen diesen aus Spenden und Bistumsgeldern geförderten Urlaubstag erleben, den sie sich sonst wohl nicht leisten könnten (eine Liste der Sponsoren und das Spendenkonto finden sich im Info-Kasten unten). Federführend getragen wird das ökumenisch aufgesetzte Programm von der Katholischen Erwachsenenbildung Frankfurt (KEB) und der Pfarrstelle für gesellschaftliche Verantwortung beim evangelischen Stadtdekanat Frankfurt und Offenbach. Die Regeln sind einfach: Mitmachen kann, wer über ein geringes Einkommen verfügt, Inhaber eines Frankfurt-Passes ist, Arbeitslosengeld II bekommt oder von einer kleinen Rente lebt. Pro Person oder Familie kann nur eine Tagesreise unternommen werden, pro Person zahlen die Reisenden fünf Euro dazu.
Lieber nicht weit weg fahren
Ute Schäfer hat das Projekt „Urlaub ohne Koffer“ ins Leben gerufen – auf Anregung von Erwerbslosen, wie sie selbst erzählt. „Sie berichteten mir, dass sie einerseits viel Zeit haben und einen Tapetenwechsel dringend bräuchten, aber kein Geld für Urlaub haben und aufgrund der Regeln des Arbeitsamtes auch nur eingeschränkt weg können“, berichtet sie. „In dieser Situation haben Menschen oft das Gefühl, sie sollten sich besser gar nicht vom Wohnort entfernen, weil es ja sein könnte, dass sie Arbeit angeboten bekommen. Das verursacht ein permanentes Unruhe- und Stressgefühl.“ Dazu käme, dass man schnell die Erfahrung mache, dass so gut wie alle Unternehmungen Geld koste, mitunter viel Geld, selbst wenn es nichts Luxuriöses sei. Das potenziert sich natürlich, wenn man Familie hat. Die Leute hätten damals zu ihr gesagt: „Ute, mach doch mal was, dass wir auch mal Urlaub haben.“ Und Ute machte.
Nach einem schon steilen Start wuchs „Urlaub ohne Koffer“ über die 13 Jahre, in denen es besteht, immer weiter. „Ich habe schon den Eindruck, dass der Bedarf größer geworden ist, die Leute sind definitiv belasteter und haben größere finanzielle Sorgen“, meint Ute Schäfer Schäfer, die eigentlich seit Ende 2022 in Ruhestand ist, das Projekt aber noch weiter betreut, bis eine Nachfolge gefunden wird. Für die finanziell enger gewordene Lage vieler Menschen gibt es verschiedene Gründe: Die Auswirkungen von Corona, teurer werdende Mieten, gestiegene Energiekosten durch den Ukraine-Krieg … „Fest steht: Durch die allgemeine Preisentwicklung wird Urlaub für viele immer unerschwinglicher.“
Attraktiv für Anbieter
Darauf reagieren die involvierten „Reiseanbieter“ von „Urlaub ohne Koffer“, indem sie stetig daran tüfteln, neue Angebote zu schaffen. Oft arbeiten die Organisatorinnen mit anderen Einrichtungen zusammen, für die das Konzept ebenfalls attraktiv sein kann. „Wer etwas anbietet, kann aus dem eigenen Umfeld die Hälfte der Plätze für sich voranmelden“, erklärt Ute Schäfer. So besteht in diesem Jahr bei einem Angebot der Katholischen Stadtkirche die Hälfte der Teilnehmerinnen aus Frauen, die aus der äthiopischen Tigray-Region stammen. Die andere Hälfte der Mitreisenden ist bunt gemischt. Anbieter, mit denen bereits seit langem eine Kooperation läuft, sind zum Beispiel der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) oder das Internationale Familienzentrum (IFZ).
Sie möchten spenden?
Spendenkonto fürs Programm „Urlaub ohne Koffer“:
Kontoinhaber Bistum Limburg, Mittlere Ebene
IBAN DE08 5114 0029 0379 9111 02
Verwendungszweck: 404210-1100 00 5311
1120 Reiseplätze gibt es in diesem Jahr, 170 waren es mal ganz zu Anfang. In den gerade begonnenen Sommerferien stehen 33 Ausflüge im Programm, darunter ein Besuch der Bad Vilbeler Burgfestspiele und der Bundesgartenschau in Mannheim, mehrere Tage in der Lochmühle, im Phantasialand oder in Tripsdrill, eine Fahrt nach Rothenburg ob der Tauber, ein Ausflug zum Schloss Freudenberg nach Wiesbaden, Wellness im Grünen, ein Picknick aus Tausendundeiner Nacht, Schwarzlicht-Minigolf, Schifffahrten sowie Ausflüge in Kloster.
Das Besondere: In diesem Jahr gibt es vermehrt auch Reisen mit Übernachtungen, also tatsächlich doch „mit Koffer“. Möglich wird das durch besondere Förderungen, unter anderem aus einem Corona-Fördertopf der Stadt Frankfurt. Zwei mehrtägige Fahrten gehen in ein Feriendorf nach Hübingen, und für drei Familien gibt es vom Förderverein der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) die Möglichkeit, nach Ligurien zu reisen. Auch sie zahlen nur fünf Euro pro Person pro Tag. Apropos Corona: Während der Pandemie fanden die Fahrten weiter statt, mit reduzierter Teilnehmerzahl und unter Sicherheitsvorkehrungen. „Aber die Gruppe unserer Mitreisenden war ganz besonders schwer von den Einschränkungen betroffen, deshalb war Bleibenlassen für uns keine Option“, sagt Ute Schäfer.
Die Flyer finden ihren Weg
Weil die Angebote sich auf eine sehr große Zielgruppe beziehen – Menschen mit geringem Einkommen machen zirka 20 Prozent der Frankfurter Bevölkerung aus – werden sie nicht öffentlich beworben; die Flyer allerdings finden ihren Weg zu denen, für die der „Urlaub ohne Koffer“ gedacht ist. Die Interessierten füllen das gelbe Einlegeblatt aus und geben ihre drei bevorzugten Programmpunkte an, anschließend wird die Reihenfolge ausgelost, nach der die Wünsche erfüllt werden. Die finale Anmeldung und Bezahlung des Unkostenbeitrags erfolgt dann persönlich im Büro im Haus am Dom – auch, weil die Verbindlichkeit, dann am Abfahrtstag auch wirklich da zu sein, so größer ist.
Dass die Reihenfolge verlost wird, ist übrigens auch eine Erfindung aus der Corona-Zeit. Denn vorher standen die Menschen an einem zentralen Anmeldetag Schlange, viele fürchteten, nicht mehr berücksichtigt werden zu können, die Stimmung war entsprechend angespannt. Durch die Verlosung, die nun seit ein paar Jahren im Giebelsaal des Hauses am Dom stattfindet, haben nun alle die gleichen Chancen. „Für die Idee sind wir dankbar und behalten das auch so bei“, sagt Ute Schäfer. „Das ist für alle viel entspannter!“
Wer steht dahinter?
Urlaub ohne Koffer ist eine Veranstaltung der Kath. Erwachsenenbildung – Bildungswerk Frankfurt (KEB) in Kooperation mit dem Caritasverband Frankfurt e. V., der Kath. Eritreischen Gemeinde, der Fachstelle für Katholische Stadtkirchenarbeit, dem IB Quartiersmanagement Ginnheim, dem Kinder- und Familienzentrum Morgenstern, dem Förderverein des KAB-Diözesanverbandes Limburg e. V., der Pfarrstelle für gesellschaftliche Verantwortung beim ev. Stadtdekanat Frankfurt und Offenbach, der Kath. Familienbildung
Frankfurt, dem EVAngelischen Frauenbegegnungszentrum (EVA), dem Sozialdienst Kath. Frauen e. V. (SKF), dem Internationalen Familienzentrum e. V. (IFZ), Evangelisch Reisen – Kirchliches Werk für Freizeit und Erholung, den Islamischen Informations- und Serviceleistungen e. V. (I.I.S.), dem Kinder- und Familienzentrum Innenstadt, der Pfarrei St. Jakobus, der Pfarrei St. Margareta und dem BUND Kreisverband Frankfurt. Urlaub ohne Koffer wird vielfach unterstützt und ermöglicht durch Kollekten, Spenden und Zuwendungen von Einzelpersonen, Pfarreien, Stiftungen und gemeinnützigen Organisationen, u. a. von Diakoniestiftung Frankfurt und Offenbach, Primus-Linie, Piva & Piva, Studio für visuelles Design und vielen weiteren.